Neumannsgarden, wo Emil aufwuchs

Wenn ich meine Gedanken an meine frühe Kindheit zurückgehen lasse, sehe ich als erstes einen großen, zweistöckigen Hof mit Garten vor mir, der in einer hellen graugrünen Farbe bemalt ist. An der Außenseite lag in der oberen, linken Ecke eine Treppe hin zur Straße, welche direkt an der Hausmauer vorbeiging. Diese Straße hieß Strømsøe Storgade. Der Platz gegenüber war nicht bebaut, sondern zum Fluss hin offen, und es gab eine Art Anlegesteg, an dem gelegentlich kleine Segelschiffe und Transportboote Kohle und andere Güter, manchmal auch Bauholz, auf- und abluden.

In Richtung Hofplatz befand sich in der Mitte des Hauses eine breite Treppe (Doppeltreppe) mit einem Absatz vor der Tür.

Auf der rechten Seite des Flures, welcher durch diese Tür führte, lag das Schlafzimmer von Vater und Mutter, in dem auch mein kleines Bett stand. Ich weiß nicht mehr, wo meine Schwestern ihr Zimmer hatten, aber ich erinnere mich gut daran, dass im Flur eine Luke im Boden zum Keller führte, weil ich durch diese einmal heruntergefallen bin, zum Glück ohne Schaden zu nehmen. Hinter unserem Wohnzimmer befand sich das Esszimmer, welches ein Fenster zu einem Platz hatte, der zwischen unserem und dem Nachbarhaus, das einer alten Dame, Fräulein (oder Frau) Bente Holst, gehörte, eingeschlossen war. Diesen Platz nannte ich “Klettenplatz”, weil es so viele „Kletten“, das heißt Disteln gab, so dass im Herbst die Kleider voll davon waren, wenn man in dieses Distel-Dickicht ging.

Die Lage und das Aussehen des Speisesaals hat sich besonders in meiner Erinnerung festgehalten, weil meine Schwester Susanna einst übel von einem Faß mit Schnittbohnen verbrannt oder verbrüht wurde, welches vom Herd über ihren Hals und Nacken fiel, als sie am Ofen arbeitete, und ihre Bewegungen wohl ein wenig heftig waren, so dass der hohe Eisenofen seine Last, die zum Warmhalten ganz oben stand, von sich schüttelte. Es versteht sich von selbst, dass sie brüllte und ich mit ihr. Vom Esszimmer aus führten einige Stufen in die Küche hinab, welche im Nebengebäude lag.

Auf dem geräumigen Hofplatz befand sich ein langes einstöckiges Gebäude, in dem der Sattelmacher Nielsen lebte, dessen kleiner Sohn Gustav mein erster Spielgefährte war. Er blinzelte mit den Augen und legte deshalb immer seinen Kopf auf seine Schultern, wenn er jemanden ansah und mit ihm sprach. Er war ein wirklich netter kleiner Kerl. Wie in allen alten Höfen in Drammen gab es viele große und geräumige Nebengebäude mit Holzschuppen, Küchengebäuden und anderen Vorratsräumen, da viele Einwohner der Stadt Ländereien hinter der Stadt hatten und Kühe und Pferde hielten, und jeden Herbst, wenn die Schafsbauern von Hallingdal und Valders oder Numedal herunterkamen, gab es in jedem Haus Schlachtung, und für uns Kinder war es eine wundervolle Zeit, wenn wir zu Hause oder zu Besuch bei den Nachbarn Blutwurst mit Rosinen bekamen. 

Der Hof, auf dem wir wohnten, wurde „Neumann-Gaarden“ genannt, und befand sich im Besitz eines Schiffsreeders Neumann, der selbst auf seinem Gut Aaskollen außerhalb von Tangen lebte. Er war ein großer bärtiger Mann mit schielenden Augen, weshalb ich große Angst vor ihm hatte, sicher weil ich nicht an bärtige Menschen gewöhnt war, weil sowohl Vater als auch seine Freunde immer gediegen rasiert waren.

Neben Neumann-Gaarden lag das Gut des Kaufmanns O.C.Wiborg. Es hatte sehr hohe Kellerwände und war rosa gestrichen, während der Laden und das Lagerhaus, das sich gegenüber dem Wohnhaus befand, ein naturfarbenes Blockhaus war, mit Geschäft und Lager im Erdgeschoss, und darüber die große Getreide- und Warenkammer mit Winde ausgestattet, so dass man sowohl vom Fluss als auch von der Straße aus alle Arten von Gütern in die 3 oberen Etagen ziehen konnte. Hier bei Wiborgs hatte ich mit der gleichaltrigen Fredrikke und Emanuel, der etwa 1 Jahr jünger war, zwei gute Freunde.

Selbstverständlich hatten wir Kinder in den großen Räumen und Nebengebäuden des Hofes genügend Platz zum Spielen, weshalb es mir strengstens verboten war, auf die Straße zu gehen, vor allem aus dem Grund, dass es nicht weit zum Steg war, und man hatte Angst davor, ich würde in den Fluss fallen und ertrinken.

In dieser Zeit, d.h. Ende der 1850er Jahre, war Drammen Norwegens größter Exportstandort für Bauholz, und es ging ein reger Schiffsverkehr, in der gesamten Zeit von der das Eis auf dem Drammensfjord aufbrach, bis der Fjord wieder zufror, was meist im November der Fall war.

Eisbrecher, die die Fahrrinne offen halten, kannte man noch nicht, und da der Fjord jenseits des Svelvik-Strømmens (eine Art Meerenge im Drammensfjord) fast den ganzen Winter über offen war, suchten alle geschäftigen Reeder, dass ihre Schiffe im Herbst so rechtzeitig geladen wurden, dass sie bis nach Svelvik hinausfahren konnten, bevor sich das Eis über den Drammensfjord legte; und sie legten sie im Winter fertig beladen auf einen guten Ankerplatz jenseits des Svelvik-Strømmens, damit sie im Frühling frühzeitig in die Niederlande, nach England oder Frankreich kommen konnten. In diesen Gewässern wurde im Sommer gesegelt; und nur die Schiffe, die sich auf Langstrecke befanden, waren im Winter draußen. Da Drammen damals die größte Segelflotte des Landes besaß, befand sich an den beiden Lagerplätzen ein regelrechter Wald aus Masten: in Risgarden und Laget in Drammen, und am Svelvik-Strømmen zu dieser Zeit des Jahres.

Der Hafen von Drammen ca. 1895 (c) Drammen Museum

Der Verkehr in Drammen war damals erheblich größer als der von Kristiania. Die vielen Dampfsägen, die die vielen Tausenden Dutzend an Bauholz verfeinerten, die jedes Jahr von Oppland 1die Drammenselva (=Drammen-Fluss) hinab flossen, machten die Stadt zu einer Industriestadt, wenn auch etwas einseitig. Es gab einen lebhaften Verkehr von Holzflößen auf dem Fluss, welche hinunter zum Ladeplatz der Schiffe bei Risgarden und Laget gebracht wurden, denn ein großer Teil des Holzes ging in Form von Balken in die Niederlande und nach England.

Aber auch von den Sägewerken wurden, teils von schleppenden Ruderbooten, teils von kleinen Dampfschiffen, große Lastenboote mit Planken und Platten bis zu den Ladeplätzen hinunter geschleppt, und flussaufwärts ruderten oder segelten die langen, schmalen Salzboote mit den von den Schiffen entladenen Gütern, z.B. Salz aus Spanien oder Portugal ( St Ybes) und Getreide von der Ostsee, Dänemark oder England und Frankreich, um diese an die Reihe von Lagergebäuden zu liefern, welche den Fluss über seine gesamte Länge umgaben. Dieser war nicht klein, denn wie bekannt, ähnelt Drammen einem langen Darm mit einer Länge von mehreren Kilometern.

Wollte man in diesen Jahren nach Kristiania, nahm man in der Regel die Diligence, die täglich zwischen den beiden Städten verkehrte, falls man nicht mit eigenem Pferd oder auf andere Art reiste. Die neue Chaussee gab es noch nicht, und man musste den gewaltigen Paradiesbakken (Paradieshang) hinauf, der vermutlich seinen Namen von der herrlichen Aussicht hatte, die man vom Gipfel über das Lierdalen (Lier-Tal) hat.

Im Sommer konnte man jeden zweiten Tag das Dampfschiff St Halvard, einen Raddampfer, benutzen, dessen Route über Svelvik, Holmsbo, Rødtangen, Holmestrand, Horten, Moss, Soon, Hvidsten und Drøbak nach Kristiania führte. Es verging also ein ganzer Tag bis zur Ankunft. Anfang der 60er Jahre erhielt St. Halvard ein Schwesterschiff namens “Kong Brage”, sodass es also täglichen Abfahrten gab, solange kein Eis auf den Fjorden lag.

Der Verkehr flussaufwärts nach Hoksund wurde abwechselnd durch 3 Dampfschiffe bedient: Nøkken, Josefine und Oscar, wenn nicht Hochwasser sie an der Abfahrt hinderte. Es war eine wunderbare Tour den schönen Fluss hinauf, und sehr beliebt als Sommerausflug, der in Hoksund mit dem Verzehr von frisch gefangenem Lachs seinen Höhepunkt fand. Dieser Ort war für seinen Lachsfang berühmt, der stets sehr reichhaltig war, da hier der große Wasserfall den Lachs daran hinderte, den Fluss hinauf zu steigen.

  1. (Region in Norwegen)